UNTERHALTUNG / CANTEUROPA-EXPRESS Fahrende Fiesta
Italiens liebste Schlagerstars wollen zwanzig Tage lang nur für die Sache Italiens singen, reisen, reden und speisen. Ein eigens für sie und ihre musikalischen wie ständigen Begleiter zusammengekoppelter Zug aus 15 Wagen, genannt "Canteuropa-Expreß", setzte sich letzte Woche in Venedig in Bewegung, um in München, Nürnberg, Prag und Wolfsburg, in Kopenhagen, Köln und Brüssel, London und Paris mit ihnen Stimmung zu machen für Vaterland, Fiat und Fremdenverkehr.
Zugnummern des Schlagergeschäfts wie Rita Pavone, Gigliola Cinquetti, Bobby Solo und Teddy Reno, doch. auch der Zug selbst, in dem sie gebettet und gefüttert werden, sollen Sympathien für das Land des Belcanto wecken. So war die Idee des Showmannes Ezio Radaelli, dem Italien "Cantagiro" verdankt, die alljährlich fahrende Fiesta der volksverbundenen, heimischen Schallplätten-Troubadoure.
Nach ersten, schwächlichen Versuchen, dieses sangesselige Sommerfest der Apenninen-Halbinsel in einer Winterreise durch ganz Europa mit den gleichen Akteuren fortzusetzen, ließ Radaelli 1967 verkünden, im neuen " Canteuropa-Expreß" kämen nicht nur die teuersten Sänger, sondern auch die kostbarsten Gemälde seines Landes. Sie seien für jedermann da zu besichtigen, wo sich sonst in Deutschland nur heimwehkranke italienische Gastarbeiter zum Vergnügen einfinden -- auf dem Bahnhof.
Das italienische Fremdenverkehrs-Büro Enit mobilisierte die Galerie-Direktoren des Landes für die nationale Sache und versprach, die Wände des angeblich kugelsicheren Expreßzuges mit Schätzen zu tapezieren, wie sie noch kein Sterblicher je auf Schienen gesehen habe, so mit Gemälden von Tizian, Tintoretto und Raffael.
Bis zur Perfektion wünschte Radaelli den Nationalcharakter seines "Canteuropa-Expreß" hervorzukehren: Auf ihrer Goodwill-Tour durch die europäische Fremde sollten die 150 Passagiere nur Erzeugnisse Italiens in sich aufnehmen. 10 000 Flaschen Wein, fast zwei Tonnen Fleisch und mehr als eine Tonne Spaghetti wurden verladen, von Tomaten und Parmesan ganz zu schweigen. Ein eigener Generator, ein Waggon mit 14 Duschkabinen, eine rollende Wäscherei und ein Friseursalon sollten die Erhaltung italienischer Lebensweise sicherstellen.
In jeder Stadt hält Italiens größter Autokonzern Fiat den Wagenpark bereit, um die Sänger und Musiker vom Zug zur abendlichen Show und zurück zu befördern. Nur italienische Lokomotiven sollten vorgespannt und für eventuell zusteigende Gäste sogar italienische Zahnbürsten bereitgehalten werden.
Doch italienische und europäische Widrigkeiten bremsten diesen Zug ins Große. Sozialistische Eisenbahngesinnung in Prag sträubte sich gegen den Gedanken, den Zug nicht durch eine Lokomotive aus volkseigenen Beständen ziehen zu lassen. Am deutschen Zoll kamen nur die Spaghetti anstandslos vorbei. Schon vor der ersten Mahlzeit auf deutschem Boden mußten die italienischen Koche Koteletts von der DSG aufnehmen.
Die italienische Eisenbahn selbst mischte unter die neuen Schlafwagentypen ein paar klapperige Veteranen und stellte zur Aufnahme der Gemäldeausstellung zwei rußige alte Güterwagen. Italienische Behörden versagten in letzter Stunde die Einwilligung, auf diesem Wege alte Meister außer Landes bewegen zu lassen. Sie gaben lediglich fünf Dutzend Bilder der Moderne heraus.
Schon nach einer Nacht im Expreß entschuldigte sich der Sänger Solo mit einer Halsentzündung und reiste wieder nach Süden. Dort war auf Anordnung einer eifersüchtigen Ehefrau auch der römische Friseur geblieben, der zur Schlafwagengemeinschaft gehören sollte, um Ezio Radaellis Sängerinnen vor dem Zugriff ausländischer Haarkünstler zu bewahren.